Bergfreizeit in den Stubaier Alpen August 1979 

 

Wir waren unterwegs zur Schaufelspitze 3333 m in den Stubaier Alpen. Mit dabei waren 5 Jugendliche, 2 Kollegen und ich. Es sollte eigentlich nur eine Einlauftour sein, denn die Schaufelspitze ist auf dem Normalweg eine sehr leichte Gletscherbegehung. Die Tour ist von der Dresdner Hütte in ca. 3 Std. zu bewältigen. Der Abstieg dauert ungefähr 2 Std. Wir waren schon fast am Ende unserer Tour und konnten schon das gewaltige Gipfelkreuz sehen, als uns auf dem Gipfelgrat eine überhängende Wächte den Weiterweg versperrte. (Es hatte tagelang nach einer Schlechtwetterfront geschneit.) Wir waren etwa noch 50 m vom Gipfel entfernt. Das Risiko über die Wächte zu gehen erschien mir zu groß. Man konnte zwar eine Spur auf der Wächte sehen, aber hält die Wächte ?  auch bei uns ? Außerdem war es schon mittag, die Sonne übte eine sehr große Strahlung aus. - Der Schnee wurde immer weicher - 

                              Ein Wahnsinn bahnt sich an                             
Als Erzieher und auch als erfahrener Bergsteiger hatte ich die Verantwortung bei dieser Tour. Die Verantwortung über die Jugendlichen, und für meine Kollegen. Ich verzichtete auf den Gipfelerfolg und brach die Tour ab. Diese Entscheidung war für mich das einzig richtige bei dieser bestehenden Gefahr. Die Wächte konnte abbrechen....Meinen Entschluß teilte ich der Gruppe mit - Sie waren sich der Gefahr nicht bewußt und lachten mich aus. Gerade mein älterer Kollege war mit dem Entschluß überhaupt nicht einverstanden und meinte: „So kurz vor dem Ziel und dann umkehren? Nein ! Ich redete auf ihn ein, erklärte ihm was passieren kann und daß die Jugendlichen noch keine so große Erfahrung haben. Doch er zeigte sich stur und uneinsichtig. Was sollte ich machen ? Konnte ich anders entscheiden ? Die Verantwortung der Gruppe war mir wichtiger, als der unbedingte Gipfelerfolg meines Kollegen. Trotz meines Vorschlages unbedingt umzukehren, wollte er nun doch mit 2 Jugendlichen über die Wächte auf den Gipfel. Ich hatte keine Möglichkeit ihn umzustimmen. Die Aufstiegsspur führt nur über den mit einer Wächte bedeckten Grat. Eine Ausweichmöglichkeit war kaum gegeben, da die Wand senkrecht abfiel. Ich teilte der Gruppe und meinen Kollegen mit, daß ich ab sofort jegliche Verantwortung ablehne.

                                                        Wächte                                                         
Es war ein seltsames Gefühl in mir. Angst ? Verzweiflung ? Auf meinen Kollegen hatte ich eine Stinkwut, die Jugendlichen einer solchen Gefahr auszusetzen. Sie können noch nicht in der Lage sein abzuschätzen, was sie für ein Risiko eingehen, wenn sie über die Wächte gehen. Nach Lage der Dinge war also mein Kollege nicht gewillt umzukehren- das heißt, ich konnte die 2 Jugendliche und den Kollegen nicht alleine auf den Gipfel gehen lassen. Es blieb mir keine andere Wahl. Oder ? Ich seilte die 2 Jugendlichen an. Auch meinen Kollegen nahm ich an das Seil. Zuerst machte ich einen geeigneten Standplatz aus und sicherte meinen Kollegen zuerst über die Wächte. Vorsichtig ging er auf der Kante entlang und erreichte frohgelaunt den Gipfel. Nun sicherte ich die Jugendlichen. Ich folgte auf den Gipfel. Die Wächte hatte gehalten. Ich war froh und erleichtert. Wir standen am Gipfelkreuz und schauten uns an. Mit siegessicherer Mine stand mein „Bergkollege“ und die Jugendlichen neben mir und freuten sich. Vielleicht dachten sie auch ich wäre ein Angsthase. Ich stand wortlos auf dem Gipfel und wurde mit einer grandiosen Aussicht belohnt. Ich ordnete das Seil und plante für den Abstieg. Wir mußten auf dem Rückweg ja nochmals über diese verdammte Wächte. Ein merkwürdiges Sausen erfüllte die Luft. Irgendetwas stimmte nicht mehr. Es war ein plötzliches vibrieren in der Luft, ein Krachen und Dröhnen - die Wächte - sie zerbarst und donnerte krachend über den Grat die Wand hinunter..... Plötzlich wieder Totenstille. Wir standen wie versteinert am Gipfelkreuz. Keiner brachte ein Wort heraus. Entsetzen war in den Gesichtern.Unsere Aufstiegsspur war weg. Nichts deutete mehr darauf hin, daß jemand den Grat begangen hatte. Und doch sind wir über diese Wächte gekommen....Bis zum Gipfel. Und nun ? Mein Kollege saß im Schnee und war fix und fertig. Die Jugendlichen hatten auf einmal Angst. Sie schauten mich nur ratlos an. Was hatten wir doch für ein Glück und einen guten Schutzengel. Es wäre nicht auszudenken was geschehen wäre, wenn wir gerade auf der Wächte gestanden hätten - als diese zusammenbrach und zu Tal donnerte. Wir stiegen nun über den Normalweg ab. Keiner sprach ein Wort. Es war nun alles vorbei. Wir waren wieder zusammen. Wir übernachteten auf der Dresdner Hütte und fuhren am anderen Tag sehr früh heim. Jeder hing seinen Gedanken nach. Es war eine trübe Stimmung. Für die Jugendliche war es ein erdrückendes Erlebniss. Es wird wohl haften bleiben....Negativ - oder Positiv.

                                                Aus Fehlern kann man lernen                                              
So heißt es jedenfalls. Keiner der Beteiligten konnte die Gefahr bei der Gratüberschreitung abschätzen.

                                              Danach ? Jahre danach ?                                           
3 Jugendliche klettern noch heute und sind auch Mitglied im Alpenverein. Wir trafen uns nach Jahren und hatten viel zu erzählen. Mit dem damaligen Kollegen ist die Verbindung abgerissen...Damals bei dieser Tour ist mir klar geworden, man muß den unbedingten Mut haben und auch den Willen- eine Tour abbrechen zu können - auch wenn das Ziel schon vor Augen ist. Falscher Ehrgeiz und Selbstüberschätzung können verheerende Folgen haben. Solche oder ähnliche Ereignisse gehören zum Erfahrungsprogramm des Lebens. Diese Erlebnisse bleiben haften - bei den Menschen - bei den Mitarbeitern, den Jugendlichen und bei mir selbst.

Gerade die Verhaltensweisen eines Kindes oder Jugendlichen, ja auch die eines Erwachsenen bei Kletter- oder Bergtouren können grundverschieden sein. - Ich habe sie alle erlebt - aggressiv, emotionsgeladen, traurig, glücklich, brutal, mutlos erfolgshungrig, kameradschaftlich   und,und.....Gerade das alles ist ein Reife - und Lernprozess und hat mir ganz klar gezeigt, daß ich mit Kindern und Jugendlichen- beim Klettern- und Bergsteigen -pädagogisch viel erreicht habe und noch mehr erreichen will.  

Tour zur Schaufelspitze 1977

                                          

                                             

                         Sachsendorf  •  2001-2008